Der Armenfond in der alten Samtgemeinde Durbach
Hilfsbedürftige Personen und Mitbürger hat es zu jeder Zeit und sicherlich in jeder Gemeinde gegeben. Was heute die Städte und Gemeinden unter den vielfältigen Gesetzen der Sozialhilfe, dem Sozialgesetzbuch (SGB) mit Wohngeldgesetz, Pflege-Versicherungs-Gesetz, Bundesversorgungsgesetz (BVG), Hartz IV, u.a.m. ihren Bürgern an Unterstützung zukommen lassen (müssen), wurde noch vor wenigen Jahrzehnten aus diversen Unterstützungskassen, Stiftungen, Spenden, aber auch durch direkte Unterstützung der jeweiligen Stabs- oder Gemeindekasse finanziert. Was Armut bei uns noch vor ca 70 – 80 Jahren bedeutete, das können sich die meisten heutigen Bürger kaum noch vorstellen. Hunger, Krankheit, Obdach-losigkeit, das waren schon immer die drei wichtigsten Kriterien, die das Einschreiten der Gemeinde oder einer sonstigen Hilfsorganisation erforderten.
Die aus der alten „Herrschaft Staufenberg“ hervorgegangene ehemalige „Stabsge-meinde“ Durbach, auch „Samtgemeinde“ genannt, hatte verschiedene Möglichkeiten um hilfebedürftige Mitbürger zu unterstützen.1.)
Verschiedene Gewerbetreibende hatten sich zu Beginn des 18 Jhd. in Zünften zusammengeschlossen. Diese unterhielten zunächst eigene Unterstützungsfonds, die jedoch fast ausschließlich den eigenen Berufsstand berücksichtigten. Anfang 1800 schlossen sich Handwerker in einer kombinierten „Hammerzunft“ zusammen. Als weitere Zunft bestand die vereinigte Schuster–, Schneider – und Weberzunft. Beide Zünfte unterhielten Unterstützungskassen, aus welchen jedoch nur die Ange-hörigen des eigenen Berufsstandes unterstützt wurden. Aufgrund eines neuen Gewerbegesetzes von 1862 wurden diese Zünfte aufgelöst und deren Restvermögen dem Armenfond zugewiesen. Beide Zünfte machten zur Auflage, dass die Zinsen ihres eingebrachten Kapitals zur Unterstützung armer Handwerkslehrlinge, insbeson-dere aus diesen Zünften, verwendet werden sollen.2.)
Welche Aufwendungen von der Stabskasse zu tragen waren, zeigt das Beispiel aus der „Heimburger Stabsrechnung von Illenthal“ für die Jahre 1845 bis 1847.
Rechner war Michael Benz, Rebmann vom Illenthal, welcher am 24. Dezember 1838 verpflichtet wurde. Für die Richtigkeit und Ehrlichkeit seiner Rechnertätigkeit haftete er mit seinem Liegenschaftsvermögen, weshalb ein „Unterpfandsrecht“ im Pfandbuch eingetragen wurde. Die Samtgemeinde Durbach lag damals im „Mittelrhein-Kreis“ und unterstand dem Oberamt Offenburg. Am Vermögen dieser Separatkasse (Stabskasse) hatten 14 Bürger aus den Zinken Illental und Kohlstatt Anteil. Das Vermögen des Stabs Obernesselried mit Illenthal bestand im Wesentlichen aus 2 Morgen Wiesen, welche die Allmendmatt genannt wurde. Alle Ausgaben der Stabs-kasse mussten deshalb aus dem Erlös der Bewirtschaftung, wie Heu- und Öhmd-Gras oder Obsterträgnis (Zwetschgen und Nüsse), aber auch aus Lehmabbau und Steinbruch finanziert werden.
Nach einer höheren Verfügung „von dem hochbreislichen Ministerium des Innern vom 2ten May 1845 wegen Unterstützung der armen Leute“, aufgrund derer jede Neben-Gemeinde oder der Heimburgerstab seine Heimats-Berechtigten Armen zu unterstützen hatte, war auch der Stab Obernesselried-Illental verpflichtet. Der Gemeinderat von Durbach beschloss aufgrund dieser Verfügung am 18.8.1845, dass alle Durbacher Stäbe die Armenunterstützung ab Anfang 1845 selbst zu tragen haben.
Unter der Rubrik „Armenpolizei“ finden wir dann die Ausgaben, welche die Stabs-kasse für den Sozialbereich tätigen musste.
– Dem Andreas Hodapp für die Verpflegung des unehelichen Kindes
der ledigen M. Anna K. Namens Balthasar für die Jahre 1845-47 20 Gulden
– Der Magdalena Kempf für die Verpflegung der armen kranken
Magdalena Männle für 30 Wochen 30 Gulden
– Dem Badwirt Peter Jilg für die Badkur der Magdalena Männle 8 Gulden
– Dem Schreiner Distelzweig für den Todtensarg für diese
Magdalena Männle 2 Gulden
30 x Dem Dominik Winter für das Grab zu machen
36 x Dem Hauptlehrer Wilhelm für Leichenkosten für diese
42 x Dem Einhorn-Apotheker Rehmann in Offenburg
für Medikamente der M. Männle
18 x Dem Wundarzt Erhard in Durbach für die Leichenschau an
M. Männle
42 x Dem Benedikt Panter von Erlach für Unterstützung
des Heinrich W. für 6 Monate 5 Gulden
– Dem Josef Koger für die Verpflegung der blödsinnigen
M. A. K. 1845 – 1847 60 Gulden
– Dem Schreiner Distelzweig für einen Todtensarg für
das Kind der Barbara Koger 1 Gulden
– Dem Gemeinde-Rechner Geiler in Durbach für die
im Jahre 1845 bezahlte Armenunterstützung 11 Gulden
54 x.
Die Einnahmen der Stabskasse reichten kaum aus, um allein diese Sozialhilfe-Lasten zu tragen. Zur Finanzierung der Kosten wurde auch nach dem Tode der Maria Männle deren Nachlass in Form von Kleidung und kleinerem Fahrnis verstei-gert. Ortsdiener Obrecht erhielt für diese Versteigerung eine Vergütung von 27 Kreuzer und Gemeinderat Braun 24 Kreuzer. Daneben erhielt Mathias Eckenfels als Fuhrlohn, um die Fahrnisse von Illental nach Nesselried zu führen, 1 Gulden 30 Kreuzer und auch Ratschreiber Danner machte Gebühren in Höhe von 36 Kreuzer geltend. Diesen Ausgaben stand der Versteigerungs-Erlös für ein barchet Oberbett und Pfulven
– ein Unterbett
– zwei Bettanzüge
– zwei Pfulvenziech
– zwei Leintücher
– 2 Weiberröck
– Ein alter Weiberjoben
– Vier alte Schürz
– Ein Halstuch
– Zwei Weiberkappen
– Sechs Weiberhemden
– Ein Kleider-Trog
– Ein altes Kästle
– Eine Bettstatt
– Ein Lehnstuhl
– 1 Spinnrad
– 1 Haspel
– 1 alte Lad
– 2 alte Körb
– Alle Lumpen
mit insgesamt 14 Gulden und 53 Kreuzer gegenüber. 3.)
Wohl wegen ihrer sehr angeschlagenen Gesundheit erhielt Magdalena Männle auf Kosten und auf Anordnung des Bürgermeisters Nassall aus der Stabskasse eine Badekur in dem von Peter Jlg betriebenen Heilbad “zum Staufenberg“.4) Wund- und Hebarzt Lorenz Erhard war der Schwiegersohn des Badwirts Jilg. Vermutlich unterstützte er die Kuranwendungen im Stahlbad Staufenberg.5.) Den Rechnungs-belegen ist leider kein Heilplan oder ein Hinweis auf den Verlauf der Kur beigefügt. Jedenfalls wurde die Heilbedürftige vom 1. bis 17. Mai von Jilg in seinem Bad behandelt. Daneben erhielt Magdalena Kempf vom Hespengrund für die Verpflegung der kranken Maria Magdalena Männle 9 Gulden. Auch die Pflege mit Badekur half nichts, denn die ledige Näherin verstarb am 16.Mai 1846 im Alter von 80 Jahren. 6.) Der Schreiner Distelzweig fertigte deshalb für den Stab „Eihlenthal“ laut Rechnung vom 20. Mai 1846 einen „Dodenbaum“ und ein „Kreiz“ und die Magdalena Kempf erhielt für die Reinigung der Wäsche und Stellung von Licht für die Leichenwächter 1 Gulden.
Die Gemeinde hatte zur Versorgung der Ortsarmen schon früh einen Arzt unter Vertrag. 1835 wurden der praktische Arzt Dr. Geiger zusammen mit dem Ober-Wundarzt Straub zur Behandlung der Ortsarmen unter Vertrag genommen. Zuvor war die Stelle im Anzeige-Blatt von 1834 ausgeschrieben worden. Die beiden Ärzte machten zur Bedingung, dass ein Verzeichnis der Armen übergeben werde. Es wurde ein Jahresgehalt von 100 Gulden ausgehandelt, wobei der Ausbruch einer Seuche oder besonders bedeutsame chirurgische Operationen, z.B. Amputation und Trepanation, eine zusätzliche Vergütung erforderten.
Die Vergütung der Ärzte wurde je zur Hälfte aus der Armenkasse und der Gemeindekasse bestritten. Nicht immer waren die Ärzte mit ihrer Vergütung und dem Verhalten der armen Kranken einverstanden. So schrieb praktischer Arzt Schneider aus Appenweier im August 1844: „Bei der großen Menge an notorisch Armen in der Gemeinde Durbach, – bei der Thatsache, dass die Krankheiten alle insbesondere zur Winterzeit aufzutreten pflegen, – bei dem Umstande, dass der Bezirk der Gemeinde Durbach ein so ausgedehnter ist, ich also erst 2 – 3 Stunden zur Wohnung eines Kranken habe, – endlich bei dem weiteren Umstande, dass gerade die Anzahl der Armen sich in den entlegenen Theilen der Gemeinde befindet, wird ein löblicher Gemeinderat meiner Forderung von 150 Gulden per Jahr nicht für zu hoch ange-schlagen finden, und gewiß nicht bei einer weiteren Berathung über diesen Gegen-stand, die oben angeführten Gründe unberücksichtigt lassen.“
Ein sehr ausführlicher Beschwerdebrief des Gemeinderats an das Großherzogliche Oberamt in Offenburg erläutert, dass der immer wieder mit Dr. Geiger verlängerte Vertrag durch das Oberamt beanstandet wurde, weil Dr. Geiger wohl keine Lizenz als Chirurg hatte. Aus diesem Grund wurde zwischenzeitlich Dr. Schneider von Appenweier zugezogen, welcher nunmehr seine Forderungen dem Gemeinderat mitteilte. Der Gemeinderat beschwerte sich darüber, „dass ein Chirurg und ein praktischer Arzt dem Gemeinderat und Stiftungsvorstand Durbach diktiren, was für einen Vertrag sie abschließen müssen.“ Auch mit dem Grossherzoglich Badischen Physikat Offenburg entstand ein Streit, weil die Gemeinde für den zweimaligen Gang nach Durbach und die Behandlung und Heilung einer schweren Lungenentzündung des Schusters Melchior Schilli nicht bezahlen wollte. Mehrfache Arztwechsel waren im Zeitraum von 1840 – 1850 zu verzeichnen. Es waren zeitweise 3 Ärzte gleichzeitig beschäftigt, damit die Versorgung der Bevölkerung gesichert war. Bürgermeister Nassall beschuldigte den heimischen Wund- und Hebarzt Erhard, dass er trotz zweimaligem Hilferuf nicht zum Krankenbett seiner Tochter gekommen wäre und lediglich geantwortet habe, „sie sollen jetzt in der Nacht auch den Dr. von Offenburg holen, den sie am Tage haben.“ Viel „schmutzige Wäsche“, Vorwürfe und Unterstellungen, wurden vom Bürgermeister in einem sieben Seiten umfassenden Brief dargestellt. Der Ärzte-Händel war dann wohl auch Anlass für Bürgermeister Plank 1849 seinen Dienst zu quittieren.
Nach der überstürzten Flucht des Wund- und Hebarztes Erhard wurde die Stelle ausgeschrieben und schließlich im Oktober 1849 mit dem Wund- und Hebarzt Dr. Lang von Gengenbach ein umfangreicher Vertrag geschlossen. Vereinbart wurde ein jährliches „Warthgeld“ von 200 Gulden, welches zur Hälfte aus der Gemeindekasse und die andere Hälfte aus der Armenfondskasse bezahlt wurde. Daneben wurde dem Arzt die Wohnung unentgeltlich gestellt. Um die Stelle hatten sich fünf Ärzte beworben. Der Arzt war verpflichtet, sämtliche ortsarmen Kranken in ärztlicher, wundärztlicher und hebärztlicher Hinsicht unentgeltlich zu behandeln. Bei zweifel-haften Fällen entschied der Gemeinderat über die „notorische Armuth“ eines so behandelten Kranken. Im Verhinderungsfall des Arztes (Krankheit) musste dieser auf eigene Kosten für einen Vertreter sorgen.7.)
Der Arzt musste auch entscheiden, ob die ortsarmen Kranken arbeitsfähig waren oder ob diese keine Arbeit leisten konnten. Wer nicht arbeitsfähig war, erhielt von der Gemeinde Unterstützung mit Lebensmitteln z.T. in zwei bis 3 Pfund Reis wöchentlich. Arbeitsfähige arme Kranke dagegen wurden durch den Heimburgerstab zu Arbeiten auf den Matten oder zur Wegherstellung herangezogen. Die Arbeitsleistung wurde pro Mann und Tag mit 24 Kreuzern, ein erwachsenes Weibsbild mit 18 Kreuzern, Buben von 15 – 16 Jahren mit 15 Kreuzern und Mädchen mit 12 Kreuzern bedacht. Diese Vergütung wurde nicht bar ausbezahlt, sondern mit Lebensmitteln entschädigt. Krämer Xaver Geiler verpflichtete sich, die Lebensmittel (Reis, Erbsen und Bohnen) vorrätig zu halten und die Ausgabe an die Kranken zu festgesetzten Zeiten vorzunehmen.8.)
Die Konzentration der Ortsarmen auf den Heimburger-Stab und die Nähe zum Arzthaus hatte wohl auch Nachteile. So wird im Ratsprotokoll vom 22. September 1852 wie folgt Klage geführt: „Die der Gemeinde zugewiesenen Armen befinden sich seit ihrer Zuweisung allein im Heimburgerstab. Dieses Beisammenleben in diesem Stab allein hat das Nachtheilige, daß man sie nicht gehörig beschäftigen kann und nebst diesem der Diebstahl sowie die Vermehrung der unehelichen Kinder von Jahr zu Jahr über Hand nehmen.“ Zur Abwehr dieses Übels wurde vorgeschlagen, die Armen im Verhältnis des Steuerkapitals auf die einzelnen Stäbe zu verteilen. Offensichtlich wurde hierüber im Bürgerausschuss nicht mehr beraten, weshalb sich die Situation in den folgenden Jahren auch nicht änderte. Es war üblich, dass meist uneheliche Kinder in Pflege bei dem „Wenigstnehmenden“ gegeben wurden. Deshalb blieb es nicht aus, dass die Kinder nicht nur nachlässig gepflegt, sondern oft auch durch Arbeit ausgenutzt wurden. Erst im Dezember 1856 findet sich wieder eine neue Regelung im Protokollbuch. Dort heißt es: „Die Unterhaltung der Armen geschah bisher auf die Weise, dass sämtliche Armen in Pflege der bemittelten Bürger abwechselnd gegeben wurden. Man fand dadurch das Nachtheilige für diejenigen armen Kinder, welche noch die Schule zu besuchen haben, dass solche nicht gehörig zur Arbeit und zum Besuche der Schule angehalten wurden. Es wurde deshalb beschlossen, dass diese Kinder nicht mehr durch das Loos in Verpflegung der Bürger gegeben werden, sondern vielmehr mittelst Vertrag auf Kosten der Heimburgerstabs-Kasse in Pflege solider Bürger gegeben werden sollen.“
Zumeist uneheliche Kinder, deren Mutter nicht in der Lage war, ausreichend für ihr Kind zu sorgen, wurden auf Vermittlung des „Armenrats“ in die Pflege und zur Versorgung durch private Personen gegeben. Hierzu wurde ein Verpflegungs-Vertrag abgeschlossen, in welchem nicht nur die jährliche Vergütung, sondern auch die Pflichten des Verpflegers usw. geregelt waren. Die Höhe des Verpflegungsgeldes bewegte sich ab Anfang 1900 wohl entsprechend dem Alter des Kindes zwischen 60 und 140 Mark jährlich. In den älteren Rechnungsbelegen vor 1900 ist durchweg zu ersehen, dass der „Wenigstnehmende“ das Kind zur Pflege zugeteilt erhielt. Pflege-kinder waren in vielen Fällen eine zusätzliche Arbeitskraft und Einnahmequelle, obwohl nach § 4 des Vertrages der Pflegling nicht zu Geschäften verwendet werden durfte, welche nachteiligen Einfluss auf die körperliche oder die geistige Entwicklung haben konnten. Ausgeschlossen war jedenfalls die Beschäftigung in Fabriken.
Was heute als Wohngeld für minderbemittelte Mieter bei der Gemeinde beantragt und über die Wohngeldstelle des Landratsamts bezahlt wird, gewährte die Gemeinde bereits vor über 150 Jahren. Für eine ganze Reihe von Anträgen beschloss der Gemeinderat im Jahre 1852 der „Bitte um Unterstützung für den Hauszins zu willfahren“. Der Zuschuss wurde nach der Größe der Familie bemessen und lag zwischen 3 und 10 Gulden jährlich.
Die Finanzmittel der Gemeindekasse wurden wohl auch wegen diesen vielfältigen Armenunterstützungen immer enger. So ist in den Protokollen zwischen 1854 und 1860 immer wieder zu ersehen, dass die Gemeinde dringend notwendige Maßnahmen kaum durchführen konnte. Finanzielle Forderungen der Obrigkeit, wie z. Bsp. zur Zahlung von Rückständen für Truppenverpflegung aus den Jahren 1848 und 1849, und zwar innerhalb von 3 Wochen zur Vermeidung eines Vollstreckungs-verfahrens, begegnete die Gemeinde dadurch, dass sie die rückständige Summe von 478 Gulden anteilig auf die 4 Stabsgemeinden Heimburg, Gebirg, Bottenau und Obernesselried-Illental verteilte. Wie diese das Geld aufbrachten, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen.
Zur Entlastung der Gemeinde trug bei, dass man mehr und mehr Auswanderungen nach Amerika zustimmte, um sich der Last von Armen zu entledigen. Josef Bader trug dem Gemeinderat vor: „Durch Vermittlung meiner Verwandten in Amerika ist mir Gelegenheit geboten nach Amerika mit meinen Kindern auszuwandern. Wie es dem Gemeinderat bekannt ist, besitze ich nach Abzug meiner Schulden kein Vermögen und bin nicht im Stande meine Schuldigkeit in die Stabskasse des Heimburgerstabs im Betrag von 21 Gulden zu berichtigen. Ich bitte mir deshalb diese Schuld nachzu-lassen.“ Der Gemeinderat ließ Bader mit seinen zwei Kindern unter Erlass der Schulden nach Amerika ziehen. So wie man ärmere Bürger gerne die Heimat verlassen sah, so bemühte man sich auch evtl. weniger begüterte neue Bürger nicht aufnehmen zu müssen. Das Ratsprotokoll ist voll mit Anträgen und Wünschen eine Frau zu ehelichen. Voraussetzung hierzu war jedoch, dass 1. das 25. Lebensjahr vollendet war, 2. ein gutes Leumundszeugnis vorgewiesen wurde und 3., dass ein ausreichendes Vermögen oder ein Erwerbszweig nachgewiesen wurde, damit die Ernährung einer Familie gesichert war. Dem Johann Baptist Siegner von Schlatt im Kanton Appenzell nützte es deshalb nichts, dass er fast alle Bedingungen erfüllte. Als Ausländer musste er das Doppelte Vermögen, wenigstens aber 1000 Gulden nachweisen. Zudem musste er nach § 40 des Bürgerrechtsgesetzes das Doppelte an Bürgereinkaufsgeld bezahlen. Siegner hatte jedoch lediglich 583 Gulden vorgelegt. Weil er in Durbach auch noch keine Arbeitsstelle oder ein Gewerbe nachweisen konnte, musste er auf seine Braut Gertrud Schrepfer verzichten.
Zur Unterbringung von alten und kranken Knechten und Mägden oder sonstigen allein stehenden Einwohnern kaufte die Gemeinde im Jahre 1870 in der Ortsmitte von Durbach ein eingeschossiges Bauernhaus. Es wurde zum Pfründnerhaus (Spital) umgebaut und konnte insgesamt 24 Personen aufnehmen. Allerdings waren die Räumlichkeiten nach heutigen Maßstäben sehr bescheiden. Ebenso bescheiden war die Versorgung der Pfründnerhaus-Insassen, die, soweit sie noch eine Tätigkeit verrichten konnten, im zugehörigen Garten unter Anleitung der betreuenden Schwestern zur Selbstversorgung mithalfen. Im Übrigen waren sie von den geringen, evtl. zur Verfügung stehenden Renten, Spenden und der Unterstützung der Ge-meindekasse abhängig. Mit welch sparsamen Mitteln gewirtschaftet wurde zeigt der Einblick ins Tagebuch des Pfründnerhauses vom März 1930. In diesem Zeitraum waren neben zwei Schwestern noch ca 10 weitere Insassen zu versorgen.
Einnahmen:
– 24,87 Mark Kassenvorrat
– 20 Mark Haushaltsgeld von der Gemeinde
– 5 Mark Badgeld
– 34 Mark Rentengeld
Somit 83,87 Mark Gesamteinnahmen
Ausgaben:
– 12,90 Mark – Verschiedenes für den Haushalt
– 6,80 Mark – Butter
– 6,50 Mark – Käse
– 5 Mark – Metzger und Wurstsachen
– 1,80 Mark – Konradsblatt
– 8,20 Mark – Bettenzeugstoff
– 34 Mark – Rentengeld verteilt
Somit: 75,20 Mark Gesamtausgaben
Das Badgeld war eine kleine Einnahmequelle, denn das Pfründnerhaus hatte seit 1926 in einem Nebengebäude ein Badezimmer und eine Waschküche. Dreimal in der Woche wurden Bäder verabreicht. Es war nur eine Badewanne für Pfründner wie für Ortsbewohner vorhanden. Das Wasser hierzu wurde seit 1902 von einer 100 m entfernten Quelle am Kochberg bezogen. 9.)
Im Jahre 1854 herrschte im ganzen badischen Land eine große Not. Das Groß-herzogliche Oberamt in Offenburg sah sich veranlasst, aus verschiedenen Stiftungen und Hilfsfonds Mittel an die notleidende Bevölkerung zu geben. Die Stabsgemeinde Durbach wurde deshalb am 17. Februar 1854 um Rückmeldung auf folgendes Schreiben gebeten: „Der Nothstand der ärmeren Classe nimmt wegen Mangel an Nahrungsmittel und Brod fast mit jedem Tag mehr zu, so daß für dieses Frühjahr zur Unterstützung der Armen außergewöhnliche Maßnahme und Hülfe geboten ist. Der Gemeindevorstand hat binnen 8 Tagen zu berichten welche Anordnung zur Unterstützung der Ortsarmen daselbst etwa bereits getroffen worden sind oder wie solche beabsichtigt werden“.
Nach einem Aufruf an die Bevölkerung meldeten sich schließlich 180 Familien mit zusammen 725 Personen aus den Stäben Heimburg, Obernesselried-Illental, Botten-au und Gebirg und baten um Unterstützung. Weitere Familien meldeten sich noch nachträglich. Einige Familien wurden nach Beratung des Gemeinderats und Stif-tungsvorstands aus der Liste gestrichen. Letztlich erhielten laut der vorliegenden Ausgabeliste 221 Familien Lebensmittel zugeteilt. Die Gemeinde hatte aus der „Georg-Elisabethen-Stiftung“ über das Oberamt Offenburg 300 Gulden für die Armen erhalten. Jede Familie erhielt 1 Sester Grundbirnen (Kartoffel). Weitere 200 Sester Grundbirnen und 400 Meßle Bohnen wurden entsprechend der Familiengröße verteilt. Dazu erhielt jede Familie einen Laib Brot. Die Verteilung erfolgte am 27. April 1854. Das Bewilligungsschreiben der Großherzoglichen Regierung des Mittelrhein-kreises enthielt die Mitteilung, dass nur katholische Ortsarme aus der ehemals baden-badischen Markgrafschaft Mittel aus dieser Stiftung erhalten. Es wurde auch Wert darauf gelegt, dass der Ortsarmenvorstand darauf achtet, „dass nicht die Sorglosigkeit der Minderbemittelten befördert werde“. Man wollte vermeiden, das sich die Armen an eine dauernde Unterstützung gewöhnen. Ähnliche Bestimmungen hatten auch andere Stiftungen des alten Baden (vor 1771) wie z.Bsp. die Maria-Victoria-Stiftung, die das Georg-August-Maria-Victoria-Armen-Erziehungs-Haus in Rastatt unterhielt. Aufgenommen in diese Schule wurden nur katholische Mädchen, „die nicht älter als 15 Jahre und aus der Schule entlassen, vermögenslos, in einer Gemeinde der vormaligen Markgrafschaft Baden-Baden heimatberechtigt, bildungs-fähig und von gesunder Körperbeschaffenheit“ waren.
Aus dem Oberamt Offenburg war die Stabsgemeinde Durbach die einzige Gemeinde, die als baden-badische Exclave Leistungen aus den altbadischen Stiftungen erhielt. Jährlich verteilte der Hofalmosenfond und der ihm zugeordnete Gemeinde-Almosenfond die Ertragsüberschüsse auf die Gemeinden oder Ortsar-menfonds in den zugehörigen Gemeinden. Entsprechend der Seelenzahl von 2.323 Einwohnern erhielt der Stab Durbach so 1833 18 Gulden und 9 Kreuzer. Als weitere Stiftung steuerte die „Erbgroßherzog Friedrich Stiftung“ auf Antrag und je nach Wohlwollen ein paar Gulden zur Durbacher Armenkasse bei. Vorgeschlagen werden konnten arme Kinder unabhängig ihrer Konfession.
Die ersten Nachweise über den Armenfond finden wir mit der Bezeichnung „Durbacher Allmosen-Fond“ in der „Staufenberger Gemeinds-Rechnung“ aus dem Jahre 1792. Zur Bestreitung von diversen Kosten, hauptsächlich zur Finanzierung des Kirchenneubaus von 1790, hatte die Gemeinde vom Allmosen-Fond ein Darlehen in Höhe von 1000 Gulden erhalten. Erster „Allmosen-Pfleger“ war Stab-halter Kiefer, welcher auch der Erbauer des heutigen Wein- und Heimatmuseums war.
Der Armenfond hatte eine umfassende Aufgabe zur Sicherung der armen und Not leidenden Bevölkerung.
Jedem Rechenschaftsbericht war als Vorbericht auch die Entstehungsgeschichte, die derzeitige Vorstandschaft und sonstige Verwaltung, ein Hinweis auf die Verwahrung der vorhandenen Urkunden in der Stiftungskiste und sonstige Regeln des Fonds beigefügt. Der Fond entstand weitgehend durch Stiftungen, Vermächtnisse und Legate. Besonders großzügige Stifter wurden in den Armenrechnungen gelegentlich angeführt. So stiftete Baron Zorn von Bulach anlässlich der Einweihung seines neuen Schlosses im Jahre 1874 80 Mark. Sehr großzügig war auch eine Maria Anna Kammerer von Bottenau, die 1884 per letztwilliger Verfügung 622 Mark stiftete. Johannes Laigast vermachte dem Fond 1891 1000 Mark. Zur Erhaltung des Fondsvermögens wurden diverse Einnahmequellen erschlossen. So wurden bei-spielsweise Schüler bei Schulversäumnissen mit Strafen belegt, ein Reblos am Schindelrain bewirtschaftet und Darlehen vergeben, deren Zinseinnahmen wiederum der Fondskasse zuflossen. Ausführliche Listen der säumigen Schüler aus der „Werktagsschule“, der „Sonntagsschule“ und der „Industrieschule“ belegen die auferlegten Strafen. Neben seltenen und geringen Geldstrafen wurden zumeist Arreststrafen zwischen 4 und 24 Stund verhängt, deren Ableistung ebenfalls peinlich genau registriert war. Eine Anzahl von Stiftern der Armenkasse hatten ihre Stiftung oder Vermächtnis mit der Auflage versehen, dass für sie jährlich ein Amt (Jahrtag) gehalten wurde. Die Kosten hierfür hatte dementsprechend auch die Armenkasse zu übernehmen. Aus verschiedenen Stiftungen, wie z.Bsp. der „Georg-Elisabethen-Stiftung“ in Ettlingen, dem Spitalfond Ettlingen, dem herrschaftlichen gemeinen und Hofalmosenfond in Baden, flossen dem Durbacher Armenfond in unregelmäßigen Abständen Beträge zu, die sodann nach Beschluss der Vorstandschaft an Bedürftige verteilt wurden. Unter den ständigen Beiträgen zum Armenfonds finden wir 1860 auch einen Beitrag des St. Andreas Hospitals in Offenburg von der Wiedergrüner Stiftung aus den Jahren 1807/15. Der Beitrag betrug 4 Gulden jährlich. In 3 Durbacher Wirtshäusern waren „Armenbüchsen“ aufgestellt, welche jedoch insbesondere in den Notjahren von 1848 bis 1860 keine oder nur sehr wenig Einnahmen brachten. 1899 beschloss der Gemeinderat, dass jeder als Bürger neu aufgenommene Fremde einen Beitrag von 15 Mark zur Armenkasse zu leisten habe. Ob jemand arm und bedürftig war, musste zumeist auch von einer Amtsperson bestätigt werden. Stiftungsvorstand Pfarrer Stemmer und Bürgermeister Plank hatten gerade in den Jahren 1854 bis 1856 wohl alle Hände voll zu tun, um die große Zahl der Armen einigermaßen zu versorgen. Damit aus den weiter entfernten Zinken und Stäben die Not auch dem Stiftungsvorstand zur Kenntnis kam, wurden von Gemein-deräten auch „Armuthszeugnisse“ ausgestellt. Ledige Mütter, Alte und Kranke oder auch „presthafte“ Bürger sind in jedem Ausgabezettel zu finden. Man war sehr sparsam, denn meist wurden zur Versorgung nur 30 Kreuzer vergeben. Es kam deshalb niemand auf die Idee, die kargen Mittel „zu verprassen“. Als großzügiger Spender erwies sich mehrfach Alt-Adlerwirt Ignaz Wörner von Appenweier, der auch Besitzer des alten von Wiedergrün’schen Schlösschens im gleichnamigen Zinken Wiedergrün war. So spendete er u.a. zu Ostern 3 Gulden für die Erstkommunikanten. Der Armenfond steuerte noch ein paar Gulden zu, so dass die bedürftigen Erst-kommunikanten trotz Armut ein bescheidenes Erlebnis hatten. Oftmals wurden an die Armen ein paar Kreuzer zur Beschaffung einer „Bettstatt“, einem Paar Holzschuhe oder vielleicht auch nur für ein Paar Strümpfe gegeben. Die Schüler aus ärmeren Familien erhielten regelmäßig das Schulgeld bezahlt und wurden auch mit Papier, einer Tafel oder einem Griffel ausgestattet. „Notorische Armut“ war vielfach anzu-treffen und die Industrieschülerinnen erhielten deshalb auch 3/8 Pfund blaue Baumwolle, um Strümpfe zu stricken. Kaufmann Geiler war Lieferant von Schul-büchern und sonstigem Schulmaterial, das an die mittellosen Schüler ausgegeben wurde. Der vermögenslose Schusterlehrling Aloyis Kiefer erhielt eine Beihilfe für seine „Freysprechung“ und der Schustergeselle Ziriak Vollmer erhielt eine Beihilfe, damit er auf die Walz gehen konnte. Ebenso wurde armen Lehrlingen das „Lehrgeld“ bezahlt, damit sie von ihrem Meister nicht auf die Straße gesetzt wurden. Auch die Schule selbst wurde durch den Armenfond unterstützt. So wurde für die Schule Gebirg eine große Karte von Baden beschafft und dem Hauptlehrer Josef Wicken-häuser zum Aufziehen der Karte 6 Ellen Leinwand, 1 Pfund Stärke, 2 Stäbe, feinen Lack, Leim und Draht beschafft und ihn daneben für seine Bemühungen noch bezahlt, was Gesamtausgaben von 3 Gulden und 27 Kreuzer erforderte. Die Karte selbst wurde von der Nöldeke’schen Buch- und Kunstdruckerei in Karlsruhe bezogen. Allein im Stab Gebirg meldeten sich 1854 beim Lehrer 19 Schüler mit Eltern als arm, weshalb diese mit jeweils 30 x bedacht wurden.
Wie die Ausgaben der Armenfonds sich jährlich darstellten, ist der Rechnung von 1871 gut zu entnehmen. Demnach betrugen die Aufwendungen für
Hauszins 63 Gulden 30 Kreuzer
Lehrgelder 24 Gulden
Kleidungsstücke 54 Gulden 42 Kreuzer
Allgm. Verwaltungsaufwand 117 Gulden 33 Kreuzer
Für gestiftete Jahrtage 20 Gulden 42 Kreuzer
Für die Schule 93 Gulden 58 Kreuzer
In den Kriegsjahren 1942 – 45 wurde die Armenfondskasse vom Landrat als Gaubeauftragten aufgefordert, sich am Winterhilfswerk zu beteiligen. Nach dem Kriegsende wurde das Fonds-Vermögen durch das Badische Landesamt für kontrollierte Vermögen gesperrt und erst im Jahre 1949 nach erfolgter Währungsreform wieder freigegeben. Die Währungsreform hatte das Vermögen derart verringert, dass der eigentliche Zweck des Fonds nicht mehr verwirklicht werden konnte. So beschloss der Gemeinderat am 29. Juni 1949 die Armen- und Schulstiftung aufzuheben und den Restbetrag von noch 2.631 RM nach Umstellung auf DM der Gemeindekasse zuzuführen.
1) Zur Stabsgemeinde Durbach gehörten „Heimburg“ , „Obernesselried mit
Illental“, „Bottenau“ und „Gebirg“
2) Rechnung des Armenfonds von 1869/71 (Vorbericht)
3) Erläuterungen: barchent = baumwollen , Pfulven = Kissen,
Pfulvenziech = Kissenbezug, Weiberjoben = Jacke,
Haspel = Gerät um Garn von einer Spule abzuwickeln,
Lad (e) = kleiner Behälter um z.Bsp. Urkunden o.ä. aufzubewahren,
– Fundstelle/Hilfsmittel: Handwörterbuch der deutschen Sprache 1835
4) Josef Werner in „Die Badwirtschaft „zum Staufenberg“ in Durbach. – „Die
Ortenau“ 1993 S.328
5) Chirurg und Wundarzt Erhard musste wegen seiner Aktivitäten im
Zusammenhang mit der Badischen Revolution im Jahre 1849 flüchten. Weil
deshalb die Versorgung der Ortsarmen Kranken nicht mehr gewährleistet war
musste die Gemeinde einen neuen Arzt anstellen
6) Sterbebuch Pfarramt „St. Heinrich“ Durbach
7) Armensachen Gemeindearchiv Durbach I.1
8) Dr.med. Franz Steiger, prakt. Arzt in Durbach –
„Die sanitären Verhältnisse in der Gemeinde Durbach“1930
9) Protokollbuch Gemeinde Durbach 1847 – 1860
Veröffentlichung in „Die Ortenau 2006“