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Des Vogts Sohn von Staufenberg

das versunkene Schloß auf dem Stollenberg war schon längst von Gestrüpp überwuchert und Tannen wuchsen, wo einstens frohe Tänze und Bankette stattgefunden hatten; da lebte ein Amtmann auf dem Staufenberg, der hatte einen Sohn Namens Sebaldus. Der begab sich oft, wenn die Sonne den Herbstnebel durchbrach, an den Fuß des großen Stollenwaldes, um Maisen zu kloben. Da hört er eines Tages den Berg herab so lieblich singen, daß er hinaufklomm zum Gipfel des Stollenberges. Da sah er im Gebüsch ein schönes Weib, das sagte zu ihm: „Erbarme dich mein, ich bin die verwünschte Tochter des Himmel-Stollens und heiße Melusine. Wenn du mich dreimal an drei Tagen des Morgens um neun auf den Mund und beide Wangen küssest, so bin ich erlöset, und der Schatz, den ich hüte, soll dein eigen sein. Fürchte dich nicht, besonders am dritten Tag.“ Das Versprach Sebald, und wie er sie des ersten Tages betrachtete, fand er sie blond mit blauen Augen, von schönem Angesicht, aber statt der Finger hatte sie eine trichterförmige Höhlung an der Hand und statt der Füße einen Schlangenschwanz. Gleichwohl gab er ihr die drei Küsse und sie war dessen herzlich froh. Als er des zweiten Tages sich einstellte, hatte sie Flügel und einen Drachenschwanz; doch Sebald überwand seine Furcht und küßte sie wieder. Aber am dritten Tage, da er wieder dem Gesang der Melusine nachging in den Stollenwald, fand er sie als häßliche Kröte, den Drachenschwanz um den furchtbaren Leib geschlungen. Jetzt graute Sebald so sehr vor der furchtbaren Gestalt, daß er zu ihr sagte: “Kannst du dein Angesicht nicht entblößen, so kann ich dich nicht küssen.“ Nein, schrie sie auf und streckte die häßlichen Arme nach ihm. Laut aufschreiend sprang der entsetzte Jüngling den Berg hinab und kam zum Schlosse gerade als die Thurmuhr Neune schlug. Der Vater schalt den Jungen wegen seiner Furchtsamkeit, ließ aber doch die Geschichte zum ewigen Gedächtnis aufschreiben. Sebald vermied den Stollenwald; er war bange, daß er die Melusine betrogen habe; diese aber ließ nichts mehr von sich hören.

    Da geschah es, daß der alte Vater ihm den Dienst übergeben wollte, und zu dem Ende sah er sich um eine Frau für den Sohn um und fand sie in der Tochter eines benachbarten Amtsvogts. Die Hochzeit wurde im Schlosse Staufenberg gehalten und Alles saß fröhlich bei Tische. Da bekam mit einem Mal die Decke des Saals einen Spalt und ein Tropfen fiel daraus auf den Teller Sebald’s ohne daß dieser es merkte. Wie er nun von der Speise aß, fiel er sogleich todt zusammen. Als man aber in die Höhe schaute, sah man einen kleinen Schlangenschwanz in die Decke sich zurückziehen. Noch ist die Geschichte in Stein gehauen auf dem Staufenberg zu sehen.

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