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Fünf Millionen Trinkgeld

Zeitbild 1923 – Ein umständlicher, interessanter und teurer Umzug

Heimatbeilage vom 14.12.1979

Die Inflation ist auch heute ein Schreckgespenst. Wie sich die Geldentwertung auswirken kann, schilderte der ehemalige Durbacher Lehrer, Rektor i.R. Emil Geierhaas in einem interessanten Artikel.

Mein Freund erhielt nach einem Jahr Wartezeit im April 1923 seine erste Anstellung als Hilfslehrer in Oberkirch. Am Jörgentag, 23. April, zog er dort auf. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Allerdings war es damals gar nicht so einfach, von Offenburg nach Oberkirch zu gelangen. Offenburg und Umgebung standen unter französischer Besatzung. Die Bahnlinien Offenburg-Renchen, Offenburg-Niederschopfheim und Offenburg-Ortenberg waren stillgelegt. Wer z.B. nach Karlsruhe reisen wollte, mußte sehen, wie er nach Renchen kam, denn das war die Abreisestation nach Norden. Man konnte aber auch von Ortenberg – was günstiger zu erreichen war – nach Karlsruhe fahren. Die Reiseroute war dann Ortenberg – Hausach – Freudenstadt – Hochdorf – Calw – Pforzheim – Karlsruhe. Der nähere Weg nach Ortenberg bedingte aber dafür eine längere Fahrzeit zur damaligen Landeshauptstadt, allerdings zum billigen Fahrpreis der direkten Strecke Offenburg – Karlsruhe.

Nach Oberkirch konnte man überhaupt nicht mit der Bahn fahren, sondern nur „per pedes apostolorum“ = zu Fuß wie die Apostel kommen. Eine Kutsche oder Taxe konnte sich ein Lehrer nicht leisten. So hatte mein Freund seine wenigen Habseligkeiten in einen großväterlichen Koffer gepackt und auf ein kleines Leiterwägelchen verfrachtet. Seine Freundin und er – ein gutes Gespann – zogen das Wägelchen von Offenburg durch den Rammersweierer Wald auf ungeteerten Wegen nach Durbach. Übrigens gaben beide Eltenpaare das Geleit, das eine zwar nur bis Durbach, das andere mit den Heimbach hinauf zur Brandstetter Kapelle, von da das Bottenauer Tal hinaus. Im Schlatten fragte man mal nach dem nächsten Weg, man wies sie über das Fürsteneck. Um den Berg herum wäre es etwas weiter, aber sicherlich einfacher gewesen. So rumpelte das Wägelchen über Stock und Stein den Berg hinauf – den Berg hinunter über Butschbach nach Oberkirch. So mancher Schweißtropfen wurde vergossen, bis man im Weierweg ankam. Nach einer Stärkung in einer Wirtschaft blieb mein Freund in Oberkirch, die andern machten sich mit dem leeren Wägelchen wieder auf den Heimweg – ein netter siebenstündiger Spaziergang am Sonntagnachmittag war beendet.

Anfang August wurde mein Freund nach Durbach versetzt. Der zweite Umzug war fällig. Inzwischen hatte sich sein Hausrat vergrößert. Auch Brikett hatte er kaufen können und wollte auf diesen Wintervorrat nicht verzichten. So mußte er sich nach einem größeren Wagen umsehen. Fünf Knaben der damaligen 7. Klasse der Volksschule von Oberkirch besorgten einen kleinen Pritschenwagen, zwei Buben spannten sich davor, die andern drei schoben mit dem Lehrer den Karren über Butschbach-Korberg durch das Bottenauer Tal zur Brandstetter Kapelle hinauf, den Heimbach hinunter zum Rathaus von Durbach. Das hatte Schweiß gekostet, aber mit zwei Stunden hatten sie es geschafft. Nachdem alles abgeladen und verstaut war, besorgte der Lehrer den Buben ein Vesper mit Limonade im „Bären“, jeder bekam noch ein kleines Trinkgeld, in damaliger Währung schon ein ansehnlicher Betrag.

 

Mein Freund bezog das Unterlehrerzimmer im Kniestock des Rathauses. Wieviel Lehrer mögen in der alten ächzenden Bettlade dieses Zimmers schon geschlafen haben. Und die übrige Einrichtung dieses „feudalen Gemaches“ bestand aus einem wurmstichigen Nachttisch, einem Schrank mit knarrenden Türen, einer emaillierten Blechwaschschüssel auf einem eisernen Gestell mit einer Blechwasserkanne, einem kleinen wackligen Tisch, einem Stuhl und einem Hocker. Das einzige Plus war die herrliche Aussicht in den Sendelbach und auf das Heidenknie. Aber was war das schon gegenüber der mütterlichen Betreuung im gut eingerichteten Zimmer beim Schneider Pfaff im Weierweg in Oberkirch. Darüber konnte auch der gute Durbacher Tropfen nicht hinweghelfen, den sich ein Lehrer kaum leisten konnte. Das Waschwasser mußte er sich am Brunnen holen, das verbrauchte Wasser hinuntertragen ins Clo, das sich zwischen dem ersten und zweiten Stock befand und für jedermann zugänglich war. Um das Zimmer wohnlicher zu gestalten, ließ er sich aus der elterlichen Wohnung in Offenburg allerlei bringen. Die Transportkosten gingen auf seine Rechnung. Ende August 1923 konnte er eine Umzugskostenrechnung an das Kultusministerium in Karlsruhe einreichen. Die Kosten beliefen sich auf 20.000 Mark, in Buchstaben zwanzigtausend. Wochen vergingen. Es kam keine Nachricht. Am 2. November 1923 – am Allerseelentag – klopfte es an der Schulzimmertür des Bürgersaales im Rathaus. Der Briefbott Feger begrüßte meinen Freund mit den Worten: Herr Lehrer, ich
bringe ihnen das Geld. Ganze 365.000 Mark hat er auf den Tisch gezahlt – der Rechnungshof in Karlsruhe hatte inzwischen aufgewertet – mein
Freund hat das Geld heute noch. Der Briefträger bekam vom Lehrer 5 Millionen Mark Trinkgeld, wofür er sich gerade noch eine Schachtel Streichhölzer kaufen konnte.

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