Bombenhagel auf Ebersweier
– Ebersweier erinnert sich an einen Schreckenstag mit 12 Toten –
Am 27. November 1944 musste auch Ebersweier die Schrecken des Krieges noch miterleben.
Zum Schutz vor den anrückenden französischen Truppen waren aus Kork und anderen Gemeinden des Hanauerlandes viele Frauen und Kinder ins vermeintlich sichere Hinterland nach Ebersweier und Durbach gekommen. Der Oberbefehlshaber der Alliierten Truppen, General Dwight D. Eisenhower, hatte zur Unterstützung des Angriffs der 6. Alliierten Armeegruppe, bereits am 22. November 1944 eine systematische Zerstörung der Eisenbahnknotenpunkte am Oberrhein angeordnet. Ebenso sollten die wichtigen Brücken zerstört werden. Obwohl weder Ebersweier noch Durbach als strategisches Ziel galt, lösten die ständigen Fliegerangriffe auf Offenburg und auch die Richtung Freiburg anfliegenden Bombengeschwader ständigen Luftalarm aus. Jeder etwas festere Keller galt als Schutzraum. Während in Durbach vereinzelt Felsenkeller z.B. hinter dem Rathaus oder beim Gasthaus zur goldenen Traube zur Verfügung standen, suchte man in Ebersweier in den etwas fester gemauerten Kellern Zuflucht. So kamen am Abend des 26.11.1944 auch einige Leute aus Kork nach Ebersweier.
Am 27. November 1944 fand zwischen 12.05 Uhr und 12.50 Uhr der schwerste Luftangriff auf den Güterbahnhof Offenburg statt, in dessen Folge auch Ebersweier schwer getroffen wurde.
Der schwer verwundete Soldat Albert Gütle war nach Hause zurückgekommen. Auch er suchte im geräumigen Keller vom „Kreuz“ Schutz. Frau Lina Bender (1915) erinnert sich noch gut an diesen Schicksalstag für Ebersweier. „Ich war zwar nicht unmittelbar von der Katastrophe betroffen, aber ich weiß noch, wie wir bei Barbara Männle geb. Hauth *27.11.1898 Geburtstag gefeiert haben. Es war zwar keine richtige Feier, denn in dieser Zeit hatte man wenig Anlass dazu. Beim Alarm gingen wir in den Keller. Als die Bomben gefallen sind war das ganze Dorf in eine dicke Staubwolke gehüllt. Die von Kork herübergekommenen Leute klagten: „O wäre mr doch däheim gebliewe, donn wär uns des nit bassiert!“ Für Klothilde Knopf geb. Kling (1929) ist der 27. November 1944 ein Schicksalstag, den sie aber gleichzeitig auch als „2. Geburtstag“ in Erinnerung hat: „Wir waren 27 Personen, die im Kreuz Zuflucht suchten. Mein Bruder Richard (1924) war als verwundeter Soldat in Offenburg im Lazarett und durfte uns zu Hause in Ebersweier besuchen. Beim Luftalarm flüchteten meine Mutter, mein Bruder und ich ins Nachbarhaus „Kreuz“ weil dort ein fester und geräumiger Keller vorhanden war. Theresia Noll (1929) war als Pflegekind bei Franz Ganter und war ebenfalls ins Kreuz geflüchtet. Sie wurde durch einen herabstürzenden Terrazzoblock schwer am Oberschenkel verletzt und leidet heute noch darunter. Auch meine Mutter Zäzilia wurde schwer am Halswirbel verletzt und konnte sich nachher kaum noch selbst versorgen. Im Hof vom Gasthaus Kreuz wurden auch die beiden Pferde vom Fuhrwerk der Korker Flüchtlinge getötet. Durch die Wucht der Detonation drangen die Bombensplitter in unserem Haus selbst durch den Kleiderschrank und durchlöcherten unsere Kleider. Das Dach war ganz abgedeckt und es musste viel repariert werden. Bis alles wieder einigermaßen in Ordnung war „hausten“ wir in dem bereits vor dem Krieg als künftige Backstube vorbereiten festen Raum. Nach dem schweren Treffer auf das Kreuz konnte sich mein Bruder Richard alleine befreien und über ein Kellerfenster ins Freie kommen. Er wollte aufs Rathaus rennen um Hilfe herbeizurufen. Unterwegs kamen jedoch Jagdflieger, welche die Straße beschossen. Er flüchtete sich unter das Brückle beim „Deutschen Kaiser“ bis die Flieger wieder weg waren.“ Inge Hilpert geb. Schaal (1936) heute wohnhaft in Langenau bei Ulm, war wegen der Kriegsgefahr schon um 1940 mit Ihrer Mutter vom schwer bedrängten Stuttgart in die alte Heimat ins Kreuz gekommen. Sie erinnert sich: „Am Abend zuvor saßen wir im Kreuz lustig am Tisch. Ich war mit meiner Mutter und vielen anderen Leuten beim Luftalarm in den Keller gegangen. Hinter mir saß meine Mutter. Dicht neben mich drängte sich meine Freundin Amalie Wagner (1934), die direkt neben dem Kreuz beim Ganter Franz wohnte. Plötzlich gab es einen gewaltigen dumpfen Luftdruck und die Leute wurden im Keller herumgeschleudert. Die Regale fielen um und von der Decke stürzten Steine und Betonteile herab. Ich wurde mit meiner Mutter an die Wand gedrückt. Ein großer Terrazzostein fiel auf meinen Onkel Fritz Hafner, der schwer verwundet wurde und vor Schmerz laut schrie. Staub und Dreck ließ uns nichts mehr sehen und ich rief nach Amalie. Die gab jedoch keine Antwort mehr. Mitten in der Staubwolke sahen wir ihre Hand. Aber es half nichts, – sie regte sich nicht mehr. Die Schmerzschreie meines Onkels Fritz (Kreuzwirt) wurden leiser, bis auch von ihm nichts mehr zu hören war. Erst wenige Wochen vorher, am 9. Oktober 1944, hatte er geheiratet. Nach einiger Zeit wurde von Helfern ein kleines Loch gebuddelt, durch welches uns Krüge mit Wasser hereingereicht wurden um unseren Durst zu stillen, und auch um uns notdürftig etwas im Gesicht zu waschen. Es dauerte sehr lange, bis wir aus dem Keller geborgen werden konnten, und als wir schließlich wieder nach Draußen kamen war es bereits dunkel. Nachher wohnten wir bei Pius Kuderer (heute Alte Dorfstr.1)“.
Franz Heitz, (1930) erinnert sich: „Schon 1943 gingen auf der Gemarkung Ebersweier, im Breitfeld vereinzelt Bomben herunter. Am 27.11.1944 saß ich zusammen mit meinem Bruder am Mittagstisch. Die Oma kam gerade mit einem kleinen Handwägelchen zu Fuß vom Ölmüller von Oberkirch und bog beim Werner Leo um die Ecke. Wegen dem ständigen Luftalarm hatten wir hinter dem Haus einen provisorischen Unterstand errichtet. Zuerst hörten wir das Geräusch einer Zielbombe. Wir gingen in den Keller. Dort hörten wir, dass in unmittelbarer Nähe eine Bombe niedergegangen war. Als die ersten Staubwolken verflogen waren, sahen wir in unserem Hof einen dicken Balken liegen. Das alte Brenn-Haus von Gütle (Ecke Schulstraße alte Dorfstraße) war völlig zerstört. Wo vorher das Haus stand, war jetzt ein ca 10m breiter und 6 m tiefer Krater. Die Trümmer waren über das halbe Dorf verteilt. Beim Haus vom Rößler Oskar in ca. 100 m Entfernung lag eine Egge auf dem Dach. Das Auszugs-Haus vom Suhm Sepp (bei der Weilermühle) war ebenfalls durch einen Volltreffer gänzlich zerstört. Wir hatten kaum etwas Luft geschnuppert, da kam eine zweite Flugzeugwelle und wir verzogen uns wieder in den Keller. Gregor Wörner aus Offenburg war am Vormittag nach Ebersweier zur Familie Seckinger gekommen um sich Kartoffeln zu holen. Er wollte nur kurz ins Kreuz gehen um dort ein Bier zu trinken. Dort wurde er vom Luftalarm überrascht und flüchtete sich ebenfalls in den sicher geglaubten Keller. Nachdem der Bombenhagel vorüber war gingen wir auf die Straße. Dichte Staubwolken hüllten wie einen Nebel das halbe Dorf ein und wir meinten zunächst, dass wir es mit Gas zu tun hätten. Deshalb hielten mein Bruder und ich nasse Tücher vor die Nase. Von der anderen Bachseite rief plötzlich der Nachbar Franz Ganter um Hilfe. Das Gasthaus „zum Kreuz“ hatte einen Volltreffer erhalten und war wie vom Erdboden weggefegt. Im Umkreis von über 100 m waren die Gebäude, hauptsächlich Dächer und Fenster, schwer beschädigt. Der Schutt vom „Kreuz“ hatte den wenige Meter entfernten Bach halb zugeschüttet. Wer helfen konnte war im Einsatz um die Verschütteten zu bergen. Durch ein kleines Loch in den Keller wurde mit einem Seil der Versuch gemacht, das schwere Betonteil von Fritz Hafner herunterzuziehen, was jedoch misslang. Von Windschläg kamen einige Flak-Soldaten, die uns bei der Bergung unterstützten. Als man schließlich alle Leute aus dem Keller vom „Kreuz“ geborgen hatte, zählte man von den 27 Personen 9 Tote. Nur 3 Personen hatten keine oder nur geringere Verletzungen davongetragen. Die Toten bahrte man im damaligen Verkaufsraum der Mechanikerwerkstatt von Leo Werner auf. Tot waren Friedrich Hafner (1900), Albert Gütle (1922), Amalie Wagner (1934), Gregor Wörner (1873) aus Offenburg, Georg Knobloch I (1873), Werner Knobloch (1930), Friedrich Vollmer (1938) – die drei letzteren aus Kork – sowie der aus Leningrad stammende Kriegsgefangene Nr.68389 Michael Wostojakow und der aus Minsk stammende Kriegsgefangene Nr.57589, Jeljsei Romsienko.
Einen Volltreffer erhielt auch das Anwesen Heinrich Kaltenbrunn, Haus Nr.97b, in der heutigen Gartenstraße. Dort starben Hilda Müller geb. Kuderer (1913), die hoch schwanger war, zusammen mit ihrer erst 4 Jahre alten Tochter Lieselotte und Frieda Kaltenbrunn (1926).
Die durch Fliegerabwehr bedrängten insgesamt 325 Bomber des Typs B-17 Flying Fortres und B-24 Liberator der 8. USAAF hatten sich über Ebersweier nur der restlichen Last entledigt. Auch Jahrzehnte nach diesem Unglückstag fanden sich in vielen Bereichen der Gemarkung noch Bombentrichter. Selbst das Schloss von Neveu im Hespengrund geriet mit 3 Bomben ins Visier des Feindes. Nahe beim heutigen Pumpenhäuschen riss eine Bombe einen großen Trichter direkt ins Bächle. Eine weitere Sprengbombe zerstörte in der Nähe beim sogenannten „roten Kreuz“ den Weg und verursachte erheblichen Schaden am Dach des Schlosses und dem hinteren Hof. Eine dritte Bombe ging oberhalb des Neveu’schen Schlosses in den Reben nieder.
Sicherlich sind mit diesen Zeilen noch lange nicht alle Erinnerungen an diesen Schreckenstag niedergeschrieben. Wer hierzu noch Angaben machen kann sollte sich mit dem Verfasser,
Ratschreiber Josef Werner,
in Verbindung setzen.