Die Glocken von “St. Heinrich”
Wer kann sich ein Dorf oder eine Stadt ohne Kirchturm – ohne Glockengeläute – vorstellen?
Schon seit undenklichen Zeiten hat die Glocke etwas Mystisches für den Menschen. Die Glocke ruft zum Gebet, sie kündigt drohendes Unheil, läutet bei Feiern und zeigt uns letztendlich auch an, wenn ein Mitbürger von uns gegangen ist. Immer wieder ist die Glocke das Zeichen, auf das wir warten.
Das erste Glockengeläute war vermutlich bereits im Mittelalter von der ehemaligen St. Georgs-Kapelle auf Schloss Staufenberg zu hören. Leider gibt es über deren Ursprung keine konkreten Nachweise. Festgehalten ist jedoch, dass die St. Georgs-Glocke bei den jährlich mehrmals vorgenommenen Amts- und Gerichtstagen auf Schloss Staufenberg geläutet wurde.
Jedenfalls tat das Glöcklein bereits am Gerichtstag am 16.April 1477 seinen Dienst. Ihr Geläut vermeldete auch wenn die Gerichtszwölfer unter Vorsitz des ältesten Staufenberger’s oder später unter Vorsitz des Amtsmanns ein Urteil fällten. Sie zeigte an wenn Feuer- oder Kriegsgefahr war und im Jahre 1799 vertrieb der Glockenklang sogar anrückende „Chasseurs“ (berittene Jäger) von der Burg. In der Zeit um 1730 wurde die Glocke wohl durch Kriegswirren beschädigt, dann unter Markgraf Ludwig Georg von Baden wieder renoviert, und um 1805 durch den Markgrafen Carl Friedrich von Baden nochmals erneuert. Die St.Georgs-Glocke ist heute auf Burg Eberstein zu finden.
Vermutlich wurden bereits im Jahre 1620 die Glocken in der damaligen kleinen Kirche in Durbach geläutet. Markgraf Georg Friedrich (durlachische Linie) ließ die erste, eine protestantische Kirche erbauen, um diese Religion in Durbach einzuführen. Aufgrund Urteil des Kaisers Ferdinand II erhielten die Erben von Markgraf Eduard Fortunat (Baden-Badische Linie) nach langen Verhandlungen die Herrschaft Staufenberg wieder zurück. Mit Markgraf Wilhelm von Baden-Baden als neuem Landesherren und Lehensgeber kam auch wieder der Katholizismus ins Tal zurück. Bereits um 1632 wurde das kleine Gotteshaus wieder von den Katholiken benutzt, was aus den ältesten Abrechnungen hervorgeht.
1634 ist erstmals in der Rechnung des Roman Wörner, Gerichts-Zwölfer und verordneter „Hayligen-Pfleger“ von einem „Glockhus“ die Rede. Caspar …, Schlosser aus Offenburg erhielt 1 Gulden, 6 Schilling und 1 Kreuzer für die Befestigung des Glockenhauses. Mehrmals muss in den 1640er Jahren „Glockhanfschmalz“ besorgt werden. 1647 fertigte Conrad Silber einen „Arm“ an die große Glocke.
Auf Verwendung des Lehensherren der Herrschaft Staufenberg, Wilhelm Hermann Frhr. von Orscelar von Staufenberg, wurde am 6. September 1648 das Gotteshaus mit einem neuen Altarstein versehen und von dem Straßburger Weihbischof Gabriel Haug eingeweiht.
Der Staufenberger Amtmann Carl Grünlinger beschreibt in seiner „Colligenda oder Zinßbuech über die jährliche Gefäll der Pfarrkirchen Sancti Henrici in Durbach“ auch die ersten Glocken.
„Es wahren von Ahnfang alß die Kirch erbawen wordten, zwoh Glockhen vorhanden. Die seindt in dem zweiten Krieg vor diesem durch die Francosen entwendet undt hinweck genommen wordten. Darauf hat Gemaind oder die gesambt Underthanen ein andere von 140 Pfund gießen lassen. Dann ferner Anno 1698 wiederumb zwoh, die größt à 434 und die geringere à 314 Pfund, den Centner ob 51 Gulden Zue Straßburg erkauft. Die seind den 20gsten Marty gemelten 1698 Jahres von dem Hochwürdigen, in Gott ahndächtigen Herrn Augustino, Abbten des hayl. Röm. Reichs Ordinis St. Benedicti Hochlöbl. Gotteshaus zue Gengenbach, alle drey benedicirt und geweyet worden. Die größt in honorem St. Henrici, Imperatoris, der Pfarrkirch Patrons, die Mittlere in honorem St. Elisabetha, undt die Kleinste zue Ehren S.S.torum Joachimi et Anna.“
Das heutige Gotteshaus wurde im Jahre 1790 neu erbaut, wobei offensichtlich die alten, von Amtmann Grünlinger beschriebenen Glocken übernommen wurden. Am 30. September 1792 wurde die neue und erheblich größere Kirche eingeweiht. Über die Bau- und Unterhaltungskosten von Kirche und Glocken finden sich im Gemeindearchiv vielfältige Unterlagen. So wurden im Jahre 1799 sowohl die „3 Glogen Schwengel riemen erneyert“ wie auch „Drey Glockenseil“ ausgewechselt, was von Schullehrer Basler und Schultheiß Danner attestiert wurde.
In einem Schreiben vom 8.2.1856 teilte das Bürgermeisteramt Durbach dem Großherzoglichen Bezirksbaumeister Weber in Offenburg mit, dass vor mehreren Wochen die größte Glocke in der hiesigen Pfarrkirche zersprungen sei. Die zersprungene Glocke wurde dem Glockengießer, den Gebrüdern Koch in Freiburg, zum Umgießen anvertraut. Ein umfangreicher Vertrag mit den Gebrüdern Koch wurde von Gemeinderat und dem Bürgerausschuss bereits am 28.12.1855 abgeschlossen. Für das Metall der alten Glocke erhielt man noch 32 Kreuzer. Für einen neuen „Kleppelriemen mit Schraub“ wurden zwei Gulden angerechnet. Während man die zersprungene Glocke zum Neugießen mit der Bahn nach Freiburg schickte, entschloss man sich, eine weitere größere Glocke von ca. 1050 Pfund Gewicht zu beschaffen. Damit sollte für die weit verzweigte Gemeinde ein stärkeres Geläute geschaffen werden. Den Auftrag erhielten ebenfalls die Gebrüder Koch. Bezirksbaumeister Weber wurde beauftragt, die Konstruktion des Dachreiter-Turmes auf seine Festigkeit und Tragkraft zu überprüfen. Auf seine Anordnung wurde der Turm von Zimmermann Franz Hauth aus Ebersweier als „Wenigstnehmendem“ für 95 Gulden mit mehreren Hölzern verstärkt. Nachdem die beiden Glocken bereits am 26. März 1856 auf dem Kirchturm montiert waren, stellte man nach dem ersten Geläute fest, dass die neuen Glocken bei Weitem nicht dem entsprachen, was man vorher im Vertrag vereinbart hatte. Anstatt den gewünschten Tönen „As – Moll“ wurden Glocken mit „G“ und „B“ geliefert. Auch mit der Verarbeitung, d.h. der Konstruktion war man nicht zufrieden und so kam es, dass beim Großherzoglichen Bezirksamt in Offenburg ein Gutachten angefordert wurde. Bezirksbauinspektor Weber erschien am 8.4.186 und bestätigte diese großen Mängel. Die Gebrüder Koch mussten 2 neue Glocken gießen, welche schließlich am 18. Juni 1856 vom damaligen Pfarrer Stemmer feierlich eingesegnet wurden.
Eine Glocke wurde der hl. Kunigunde geweiht. Die umgegossene Glocke hatte nun ein Gewicht von 703 Pfund und kostete 721 Gulden und 2 Kreuzer, wobei insgesamt 214 Gulden 8 Kreuzer für die alte Glocke mit 391 Pfund in Anrechnung gebracht werden konnten. Die neue Glocke wog 1094 Pfund und kostete 1081 Gulden und 24 Kreuzer. Reisekosten der Gebr. Koch und ein Mittagessen im Gasthaus zum Ritter wurden von der Gemeinde ebenfalls bezahlt. Bis zum Ende des Krieges 1914/ 18 waren somit 4 Glocken vorhanden mit folgenden Tönen:
Größte Glocke – „G“ – früher As mit 3 Schuh 5 Zoll Ø
Die neue zweite Glocke – „B“ mit 2 Schuh 9 Zoll Ø
Alte vorhandene Glocke – „es“
Alte vorhandene Glocke -„as“
Die Gemeinde erhielt zur Beschaffung der neuen Glocke aufgrund Beschlusses der Großherzoglichen Regierung des Mittelrheinkreises eine Summe von 595 Gulden bewilligt. Gegen Ende des 1. Weltkrieges musste die Pfarrgemeinde 3 von den 4 Glocken als Kriegsopfer auf den Altar des Vaterlandes legen. Die „St.Heinrichs-Glocke“ wurde als Notgeläut belassen. Nur kurze Zeit sollte sie einsam ihre eherne Stimme erschallen lassen. 4 Jahre nach dem Kriege brachten milde Hände der gesamten Durbacher Bevölkerung so viele Spenden zusammen, dass man an die Anschaffung einer neuen Glocke gehen konnte. Diese wurde von der Firma Gebrüder Bacher in Karlsruhe gegossen und hatte ein Gewicht von 520 Pfund. Am 8. Oktober 1922 wurde sie von Pfarrer Lehn beim Sonntagsgottesdienst feierlich geweiht. Sie trug die Inschrift:
„Man heißet mich „St. Kunigunde“ mit „Heinrich“ schwesterlich verbunden. Nach Krieg folg Fried dem Vaterland und heilig sei der Ehe Band“.
Als dritte Glocke und Kleinste mit 75 kg war nach dem 1. Weltkrieg die „St. Georgs-Glocke“ auf dem Kirchturm. In Bezug auf Alter, Herkunft und Kunst wohl die Wertvollste. Als Chronist schrieb Pfarrer Karl Lehn im Jahre 1934: „Friede war ihr erst Geläut, mögen sie uns nie wieder zu Sturm und Krieg rufen“. Leider ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung, denn bereits im Dezember 1941 wurde Pfarrer Lehn wiederum aufgefordert, die vorhandenen Glocken zur Abgabe anzumelden. Nur die St. Georgs-Glocke blieb vom Einschmelzen verschont und musste ihre Stimme bis zur Neubeschaffung von 3 Glocken im Jahre 1949 weit ins Durbachtal allein hineintragen.
Fehlendes Material machte es in den Nachkriegsjahren fast unmöglich diese wertvollen Bronzeglocken zu gießen. Pfarrer Lehn und seine Stiftungsräte mussten das Metall zum Großteil selbst beschaffen. Zahlungen erfolgten fast ausnahmslos mit Schnaps, Wein und sonstigen in Durbach vorhandenen Naturalien. Der Pfarrer musste auch den Transport der Glocken und vieles mehr organisieren. Wie sehr man um die Lieferung der neuen Glocken besorgt war zeigt ein Schreiben vom 26.4.1948. Das notwendige Metall musste man mit dem LKW in der englischen Zone holen, wobei die LKW-Fahrer außer guter Bezahlung auch Verpflegung, Trinken und Rauchen wollten. Außerdem fragte der Metalllieferant in Westfalen bei der Ankunft – „was haben Sie sonst noch mitgebracht?“. Schnaps und Wein, Speck und sonstige Raritäten halfen schließlich doch, dass die von den Gebrüdern Rinker in Sinn / Dillkreis gegossenen Glocken am 6. Juni 1949 gewiehen werden konnten. Die Weihe wurde durch den Dekan Augenstein, Offenburg und die Diakone Wacker aus Weier und Wüst aus Waltersweier vorgenommen.
Die große Glocke mit einem Gewicht von 472 kg ist dem hl. Heinrich geweiht:
Inschrift:
„St. Heinrich mildreich walte und Fried im Land erhalte“
Ton „A“
Abgebildet ist (links noch sichtbar) der Kirchenpatron St. Heinrich, der seinen schützenden Mantel über die Durbacher Kirche hält.
Die mittlere Glocke mit einem Gewicht von 292 kg ist der hl. Kunigunde geweiht:
Inschrift:
„St. Kunigunde mehre, der Ehe Lieb und Ehre“ Ton „C“
Abgebildet ist die hl. Kunigunde, Ehefrau des Kaisers Heinrich mit dem Dom zu Bamberg in der linken Hand.
Die kleine Glocke mit einem Gewicht von 199 kg ist dem Weinheiligen Urbangeweiht:
Inschrift:
„Es grüne die Rebe, es wachse der Wein, St. Urban schütz alles und lass es gedeihn“ Ton „D“
Abgebildet ist der hl. Urban mit dem Stab und der Papstkrone.
Die St. Georgs-Glocke blieb noch bis etwa 1955 auf Schloss Staufenberg. Von dort kam sie zur Ergänzung auf Schloss Eberstein.
Wer denkt bei dieser bewegten Glockengeschichte nicht an die Verse von Friedrich von Schiller, welcher diese im schicksalhaften Jahr 1799 schrieb:
Holder Friede,
süße Eintracht,
Weilet, weilet,
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauen Krieges Horden
Dieses stille Thal durchtoben,
Wo der Himmel,
den des Abends sanfte Röthe
Lieblich malt,
von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!
Josef Werner, Ratsschreiber
Aus Durbacher Heimatteil 1.7.1984 mit Ergänzung 2010